Es ist so, wir haben in Österreich keine Scheiterkultur. Oder besser gesagt: wir haben eine Kultur des Scheiterns: Scheitern ist schlecht. Gescheiterte Gründer und Unternehmer haben damit für alle Ewigkeit den Beweis ihrer Unfähigkeit erbracht.
Nun häufen sich in den Medien die Stimmen, die für eine neue Scheiterkultur eintreten und auf den ersten Blick ist das auch gut so. »Scheitern muss Spaß machen dürfen« las ich kürzlich im Wirtschaftsblatt und plötzlich werden Versager sogar sexy.
Diese neue Sichtweise taucht im Fahrwasser der Technologie-Startups auf und schwappt aus dem Silicon Valley zu uns herüber. Da zählt Geschwindigkeit, da werden von Investoren Millonen in Startups reingesteckt in der Hoffnung, dass eines von zehn ein echter Erfolg wird.
Das hat wenig mit der Lebenswirklichkeit eines selbständigen Masseurs, einer Gastronomin, eines Tischlers oder einer Unternehmensberaterin zu tun. Nun könnte man entgegnen, das seien eben Unternehmer und Unternehmerinnen der alten Schule. Die hätten diese neue Sichtweise noch nicht ausreichend verinnerlicht.
Dem halte ich entgegen, dass gerade aus der Szene der Technologie-Startups sehr offen darüber berichtet wird, wie schmerzhaft es für Gründer und Unternehmer ist, mit dem ganzen Unternehmen oder Teilen davon gescheitert zu sein. Nur zwei jüngste Beispiele:
Ein erst kürzlich veröffentlichter Beitrag im britischen Business Insider geht noch einen Schritt weiter: er listet gar eine ganze Reihe schillernder Gründer im Umfeld des Silicon Valley auf, die sich das Leben genommen haben.
Das alles in einem unternehmerischen Umfeld, das als die Wiege der neuen Scheiterkultur gilt. Dort wo man nicht nur Scheitern darf, sondern Scheitern als normaler Zwischenschritt auf dem Weg zum Erfolg propagiert wird. Das führt mich zur nächsten Frage:
Wenn also selbst in diesem Umfeld Scheitern keinen Spaß macht, lautet die eigentliche Frage: Kann den Scheitern überhaupt Spaß machen? Oder ist das ein Widerspruch in sich? Auch auf die Gefahr hinauf, eine Spaßverderberin zu sein: ich bin überzeugt, dass Scheitern und Spaß nicht zusammenpassen.
Scheitern kann man nur mit etwas, das einem wichtig ist. Würde mir jemand erzählen, dass das Scheitern Spaß gemacht hätte, so könnte ich nur antworten: dann war kein Herzblut dabei, dann hast du nicht wirklich investiert, dich nicht wirklich reingelehnt, nicht wirklich riskiert. Dann hast du vielleicht ein bisschen herumprobiert, so wie man sich mit einem neuen Kochrezept spielt und dann feststellt, dass das Souffle leider zusammenfällt. Macht nix, kommt in den Müll, vielleicht gelingt es das nächste Mal besser. Soll eine solche Einstellung wirklich den neuen Unternehmergeist beschreiben?
Das Unternehmersein, das Verwirklichen von Ideen, das Entwickeln eines neuen Lebenskonzeptes, das aktive Tun und Entscheiden sollen uns Freude machen. Entscheidungen treffen und Handeln bedeuten gleichzeitig, dass manche Dinge funktionieren und andere schiefgehen. Manchmal treffen wir Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen und sie stellen sich trotzdem als falsch heraus. Erst der Erfolg gibt uns im Nachhinein recht und der Misserfolg zeigt uns unsere Fehlentscheidungen. Das nennt sich schlicht unternehmerisches Risiko: etwas zu tun, etwas zu unternehmen, obwohl es das Risiko des Scheiterns gibt.
Mit dieser Unsicherheit muss man leben und die Fehlschläge als Lehrgeld akzeptieren können. Aus diesen Erfahrungen heraus das Konzept zu verbessern, neue Wege zu finden, das kann ein sehr lustvoller Prozess sein. Wenn jedoch das eigene Werk Stück für Stück zerbröselt, sich ein Hoffnungsschimmer nach dem anderen in Luft auflöst, keine der Ideen und keiner der Versuche aufgehen will, wenn kein Licht mehr am Ende des Tunnels zu sehen ist, dann macht das einfach keinen Spaß. Schlimmer noch, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit machen sich zumeist breit.
Ja, wir brauchen eine neue Scheiterkultur. Ja, es muss möglich sein, unternehmerisches Risiko einzugehen und im worst case trotzdem weiterleben zu können und nicht in Schimpf und Schande unterzugehen.
Eines ändert sich dadurch jedoch nicht: Scheitern bedeutet Verlust, Schmerzen, Enttäuschung, Selbstzweifel. Darüber kommt man nicht von einem Tag auf den anderen hinweg.
Eine neue Scheiterkultur kann und darf nicht dazu führen, den Schmerz zu negieren, die Enttäuschung und den Frust zu verleugnen. Damit wird das Scheitern nur erneut tabuisiert.
Online seit: 07.10.2015